by Anaïs

Wenn wir ein schönes Musikstück hören, einen Film schauen oder sogar beim Buch-Lesen, bekommen wir manchmal Gänsehaut. Aber warum? Was ist der Auslöser? Gänsehaut dient dazu den Menschen vor Kälte zu schützen. Früher war dieser Mechanismus wichtiger als heutzutage, 

... da sie keine hoch entwickelte Kleidung und Häuser hatten. Daher waren die Menschen auch stärker behaart. "Wenn sich die Haare aufstellen, wird weniger Wärme vom Wind und der umgebenden Luft abtransportiert", erklärt Eckart Altenmüller, Hirnforscher und Professor für Musikphysiologie und Musikermedizin in Hannover (1). Doch warum tritt dieser Mechanismus auch ein, wenn wir gar nicht frieren?

Fest steht, dass Gänsehaut durch Emotionen ausgelöst wird. Alissa Der Sarkissian zeigte mit ihren Kollegen mit den Ergebnissen einer Studie, dass Menschen mehr Verbindungen zwischen dem auditorischen Cortex und den Hirnregionen, die für Emotionen zuständigen sind, haben, wenn sie Gänsehaut bei Melodien bekommen (2). Eckart Altenmüller fand auch heraus, dass die genetische Emotionalität eine Rolle spielt. Stärker kognitiv arbeitende Menschen verspüren im Gegensatz zu in sozialen Berufen tätige Menschen weniger bis gar keine Gänsehaut, wenn sie Musik hören. Auch ob man zuhört oder selber Musik erzeugt macht einen Unterschied: Da man sich beim Musizieren in der Regel sehr stark auf die Noten konzentriert und kognitiv aktiv ist, fällt die Reaktion mit Gänsehaut oft weg oder wird nicht bemerkt. Jeder reagiert also individuell mit Gänsehaut - sowohl bei verschiedenen Musikstücken als auch mehr oder weniger stark (1). Daher ist auch eine gezielte Provokation schwer. Trotzdem ergab eine Untersuchung, dass der Mensch unabhängig davon, ob er das Gedicht / die Musik schon kennt, Gänsehaut oder Schauer bekommen kann (3). Die Gänsehaut, so Altenmüller, führe ein ästhetisches Eigenleben (1).

Doch welche Emotionen führen nun zur Gänsehaut? Beim Musikhören analysiert das menschliche Gehirn das Gehörte automatisch auf eine emotionale Bedeutung. Das „episodische Gedächtnis“ ist ein Teil des Langzeitgedächtnisses und zuständig für die Verbindungen zwischen Musik, Melodien und Erinnerungen. So assoziieren Menschen Musik mit Situationen und den damit verbundenen Emotionen. Wer im Sommer mit seinen Freunden beim Grillen eine bestimmte Playlist hört, wird beim Hören der Lieder sich zurückversetzt fühlen und ein Glücksgefühl verspüren. Doch bei diesen positiven Emotionen entsteht seltenst Gänsehaut (2).

Folglich entsteht Gänsehaut bei eher negativen Emotionen. "Eine Idee ist, dass es ein bestimmter Schutzmechanismus ist. Es ist ja ein Schutzmechanismus für den Körper. Der Körper aktiviert ihn, auch wenn er sich bedroht fühlt emotional.“, so Eugen Wassiliwizky (4). Der physiologische Mechanismus beim Entstehen der Gänsehaut ist sowohl bei der emotionalen Reaktion als auch beim Schutz vor Kälte gleich. Die Härchen auf der Haut sind in einem sogenannten Follikel. Dieser ist mit einem Muskel an der Hautoberfläche verbunden. Wenn der Muskel sich anspannt, hebt sich das Härchen und die Haut wölbt sich (5). Neben Gänsehaut treten auch viele weitere sowohl körperliche als auch wie zuvor schon angesprochene abstraktere Symptome auf:

Skala mit 15 Elementen der ästhetischen Wahrnehmung
Die 15 Elemente der ästhetischen Wahrnehmungsskala in Musik auf einem 2-D Raum (Quelle: 6 - Fig.1)

Schauer erscheinen oft parallel zu Gänsehaut. Nachgewiesen ist, dass Schauer auch als Belohnung auftreten, wenn etwas Antizipiertes eintritt. Der Körper baut kurz vor dem Schauer eine antizipierende angenehme Spannung und emotionale Erregung auf, bei deren Nachlassen ein Schauer ausgelöst wird (3). So entsteht Gänsehaut oft in Konfliktsituationen in denen große Spannung herrscht (4). Das heißt, dass in Gänsehautmomenten im Gehirn zwei antagonistische Regionen des Gehirns aktiv sind: der Mensch empfindet sowohl negative Emotion als auch Genuss (durch die Aktivierung des Belohnungszentrum im Gehirn). Diese Mischung wird als Rührung bezeichnet und begleitet Gänsehaut (5).

Vollständig abgeschlossen ist die Forschung in diesem Bereich jedoch noch nicht. Es gibt weiterhin Studien und Untersuchungen, um der Lösung des Rätsels näher zu kommen. In weiteren Studien soll auch untersucht werden inwiefern Gänsehaut in Angst-Momenten auftritt (5). Besonders interessant ist, dass wir bei der Wahrnehmung von für uns schönen ästhetischen Stellen oft negative Emotionen haben und tatsächlich Gefallen in der Wahrnehmung dieser haben. Dies lässt sich sogar auf Aristoteles „Paradox der Tragödie“ zurückführen: Warum schauen Menschen gerne Tragödien an? (7), welche Schiller als das „gemischte Gefühl von Leiden und dem Gefallen an Leiden beschreibt“ (8). Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, dass der Wahrnehmende immer selber in Sicherheit ist und sich bewusst ist, dass es einen Unterschied zwischen der fiktionalen Person und sich selber gibt (3). Aber dieses Thema ist auch sehr komplex und Inhalt für einen weiteren spannenden Artikel.

Quellenverzeichnis

  • Pixabay, physicsgirl - 2021
  • (1)Eckart Altenmüller
  • (2)geo.de
  • (3)Literatur: Wassiliwizky, E., Koelsch, S., Wagner, V., Jacobsen, T., Menninghaus, W. (2017). The emotional power of poetry: neural circuitry, psychophysiology and compositional principles. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 2017, 1229–1240.
  • (4)swr.de
  • (5)aeshetics.mpg.de
  • (6)Literatur: Sachs, M. E., Ellis, R. J., Schlaug, G., Loui, P. (2016). Brain connectivity reflects human aesthetic responses to music. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 2016, 884–891.
  • (7)Literatur: Kuehnast, M., Wagner, V., Wassiliwizky, E., Jacobsen, T., Menninghaus, W. (2014). Being moved: linguistic representation and conceptual structure. Frontiers in Psychology, 5, 1242.
  • (8)Literatur: Menninghaus, W., Wagner, V., Hanich, J., Wassiliwizky, E., Kuehnast, M., Jacobsen, T. (2015). Towards a psychological construct of being moved. PLoS One, 10, e0128451.